Günther - Piano Man

Die hier vorgestellte Person stellt wohl die speziellste in dieser Serie für mich dar, da wir uns vor dem Interview nur ein einziges Mal persönlich gesehen hatten. Günther spielt regelmäßig in einem Second-Hand-Buchgeschäft in Salzburg Klavier, wie man aus dem Titel dieses Textes entnehmen kann. Eines Tages im letzten Herbst besuchte ich dieses Buchgeschäft gemeinsam mit einer Freundin und wurde hellhörig auf den älteren Herren, der mit voller Motivation in die Tasten klopfte. Einige Stunden später verließen wir diesen Ort, der wie aus der Zeit gefallen wirkt und dich regelrecht verschluckt, und ich wusste, ich wollte die Erzählungen dieser Person in Ruhe aufschreiben. Und so geschah es auch. 


Auch im Hotel Bristol sitzt Günther regelmäßig als Musiker am Piano und spielt Musikstücke, die ihn auszeichnen. Obwohl er ein Mozarteumabsolvent ist, widmet sich mein Interviewpartner nicht mit Vorliebe klassischer Musik. Im Gegenteil, für ihn bedeutet das Beschränken auf Mozart oder Bach ein Einschränken des Geistes und eine Geringschätzung anderer Musikrichtungen, die oft genauso oder gar komplexer konstruiert sind. Der „Piano man“ spielt am liebsten Blues, Boogie, Rock ’n’ Roll, Jazz oder Soul. 

Seine erste Erinnerung, von der er mir erzählt, ist der 8. Mai 1945: Kriegsschluss nach dem 2. Weltkrieg. „Meine Eltern hängten die weiße Fahne aus dem Fenster, die Amis kamen mit den Panzern, darauf saß einer, der hat mir im 1. Stock die Hand gereicht.“ , berichtet Günther, und ich bin beeindruckt. 

Wirklich Klavierspielen gelernt hat er in der Nachkriegszeit als Kind nahe Braunau von einem schwarzen US-amerikanischen Besatzungssoldaten aus New Orleans. Dieser war laut Günthers Aussage einer der prägendsten Menschen in seinem Leben, einer der wenigen Militärangehörigen, die in irgendeiner Situation um Erlaubnis fragten. Vor diesem Soldaten spielte Günther Orgel der katholischen Kirche. In seinem Leben hat er viele verschiedene, heute extrem anmutende Phasen durchgemacht, beispielsweise wurden seine Eltern als Kommunisten abgeführt, woraufhin sich eine ältere Russin um Günther kümmerte. 

In den Fünfzigerjahren waren Dinge wie elektrischer Strom und ausreichend Essen für ein Kind in Mitteleuropa nicht selbstverständlich. Auch Schulgeld, Pensionsvorsorge oder Krankenversicherung gab es damals nicht für jeden. Günther bezeichnet sich als Kämpfer, er sagt, zum Widerstand braucht man Mut und einen Grund. Als Mitglied der 68er-Generation lehnte er sich gegen die Nazi-Einstellung vieler Eltern auf, was auch die Lieder dieser Jahre beweisen, die er mir bei dieser Gelegenheit gleich am Klavier vorspielt (A whiter shade of pale – Procol Harum oder Rock around the block von Bill Haley). 


1972 war die größte Demo in Salzburg aller Zeiten, an der Günther natürlich mitwirkte. Der damalige US-Präsident Nixon sollte sich mit Bruno Kreisky treffen, aufgrund des Vietnamkrieges verhinderte die linke Studentenbewegung, dass Nixon im neutralen Österreich am Flughafen landete. 4000 Personen setzten sich auf das Landefeld des Flughafens. In jungen Jahren nahm Günther auch an den sogenannten Anti-Festspielen in Salzburg teil, die ein österreichischer Jude organisierte. Der Organisator befasste sich auch mit Jazz, Kunst war in diesen Jahren ein starkes Politikum, was auch öfters zu körperlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei führte. Es gab auch machtvolle Anhänger der gegnerischen politischen Seite, die Günther z.B. aus den Reihen der Wiener Sängerknaben kickten. Günther erzählt mir, dass er nie selbst Lieder schreiben konnte, aber immer mit Herz musiziert hat, für einige Jahre sogar auf einem russischen Kreuzfahrtschiff, einmal mit seiner Band zur Eröffnung des Schirennens in Ischgl. 

Uns gibt er mit, dass man sich trauen sollte, Musik außerhalb des Kanons zu hören und und zu spielen. Seine Lieder noch im Herzen tragend, denke ich an unser außergewöhnliches Gespräch und danke dem Schicksal, dass es mir seine Geschichten offenbart hat. 

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