Anna-Maria - Sensibilität und Idealismus

Anna-Maria, die Protagonistin dieses Textes, lerne ich zuerst über meinen Bruder Stefan verbal kennen, bevor ich sie das erste Mal sehe. In den letzten Monaten haben die beiden viel Zeit zusammen verbracht und Anna-Maria war auch einige Male bei uns Zuhause zu Besuch. Ihr eigenes Zuhause im Waldviertel allerdings kennt bisher nur mein Bruder. Die junge Frau lebt in einem Familienbetrieb mit ca. 28 Menschen, der verschiedene Firmen, eine Schule, und einen landwirtschaftlicher Betrieb beinhaltet. Das PAN-Projekt wurde 1995 gegründet und gilt als älteste Gemeinschaft in Österreich. Die Mitglieder leben christlich und fast ausschließlich als Selbstversorger. Das Gemeinschaftsgebäude, das Anna-Maria als ihr Elternhaus ansieht, riecht jede Woche nach frisch gebackenem Brot. Auch Stallgeruch verbindet sie mit ihrem Zuhause, da Tiere gehalten werden, sie kümmert sich beispielsweise darum, dass es den Hühner an nichts fehlt. (Sorgen bereitet ihr dabei der Habicht.) Die besondere Lebensweise in der Gemeinschaft sorgt bei Anna-Maria für das Empfinden von Sicherheit, da sie sich selbst ernähren können und durch ihre eigenen Lebensmittel aus der Urproduktion unabhängig leben.


In diesem Umfeld wuchs Anna-Maria naturverbunden und mit vielen anderen Kindern um sich auf, sie beschreibt ihre Kindheit als abwechslungsreich. Obwohl sie als kleines Mädchen nie mit Puppen spazieren ging, ist sich Anna-Maria sicher, dass ihr ausgeprägter Kinderwunsch immer schon da war. Kinder, erzählt sie mir, sind im Moment das Einzige, das ihr zu ihrem Lebensglück noch fehlt. Innerhalb ihres Zuhauses war sie laut eigener Aussage „immer Babysitter Nummer 1“, seit sie 10 Jahre alt war. Schon mit 15 war  Anna-Maria überzeugt,  selbst die volle Verantwortung für ein Kind übernehmen zu können.

Heute führt die junge Frau ein vielfältiges Leben, arbeitet als Kinderbetreuerin an der zum PAN-Projekt gehörenden Schule, singt gerne und spielt Klavier. Anna-Maria engagiert sich auch als Doula. Dieser Begriff kommt aus dem Griechischen und steht für eine Frau ohne medizinische Ausbildung, die werdende Eltern begleitet und für eine angenehme Zeit während der Schwangerschaft, der Geburt und dem Wochenbett sorgt. Im Rahmen dieser Aufgabe arbeitet sie als Geburtspartnerin bei der Vereinigung der Doulas in Oberösterreich. Diese kümmert sich um eine Rufbereitschaft von bis zu vier Wochen für die Eltern, wobei sich mehrere Doulas eine Bereitschaft aufteilen, um die Organisation zu erleichtern. Außerdem hat die Partnerin meines Bruders Babymodelle entwickelt, die ungeborene Babys in 7 verschiedenen Entwicklungsstufen in Originalgröße und Gewicht darstellen und für Schulen als Lehrmaterial (z.B. für Gynäkologinnen und Gynäkologen ) verkauft werden.


Obwohl Anna-Maria ihr Zuhause über alles liebt, ist ihr Herz nicht nur in Österreich zuhause. Im Jahr 2018 war sie als Au-Pair in Kanada und lernte ihre Gastfamilie kennen, mit der sie bis heute Kontakt pflegt. Ihr Gastpapa hat ihr erklärt wie man Ahornsirup herstellt und Anna-Maria hat dies in Österreich auch erfolgreich gewinnen können . Zudem hat Anna-Maria Verwandte in Kanada, die sie vor ihrer Zeit im Ausland das erste Mal als Kind gesehen hatte. Sie spürte zu diesen Menschen eine Verbindung, besuchte diesen Teil ihrer Familie auch ein Jahr nach ihrem Auslandsaufenthalt und reiste mit ihrer Mutter durch Kanada. Außer der Zeit in Nordamerika erinnert sie sich auch mit einem Lächeln auf den Lippen an eine Reise nach Jordanien, wo sie unter anderem die Felsenstadt Petra besuchte.

Bildung und Identität haben im Leben Anna-Marias eine große Rolle gespielt. Sie erzählt mir, dass sie als Kind kein stereotypisches Mädchen war, obwohl sie gerne Handarbeiten wie Seidenmalerei, Macramé, Häkeln oder sticken ausführte, kochte und gerne auf Kinder aufpasste, Tätigkeiten, die klassischerweise Frauen zugeschrieben werden. Allerdings wollte Anna-Maria nie Kleider tragen und spielte auch leidenschaftlich gerne Fußball. Sie mochte eine Zeitlang aus Frustration kein Mädchen sein, der Gedanke, eines Tages Mutter sein zu können, baute sie aber auf. Kinder liebt die junge Frau vor allem deshalb, weil sie grundsätzlich ehrlich sind, dich zum Lachen bringen und jeden Tag Lebensfreude und Lernfreude versprühen. Sich deshalb füreinander und vor allem für Kinder Zeit zu nehmen, ist für Anna-Maria sehr wichtig.


Im Generellen ist meine Interviewpartnerin ein sehr gemeinschaftlich geprägter Mensch, sie erinnert sich gerne an Parallelwelten, die sie früher mit anderen Kindern durch Spiegel schuf und in denen sie sich verlieren konnten. Um Anna-Maria charakterisieren zu können, ist es auch wichtig, zu erwähnen, dass sie ein sehr genügsamer Mensch ist. Auf meine Frage, was sie den Rest ihres Lebens ausschließlich essen würde, antwortet sie pragmatisch: „Brot und Wasser, damit könnte ich lange überleben.“ Anna-Maria erzählt, dass sie in der Lage sei, sich alles selbst beizubringen, dass sie braucht bzw die Menschen sucht von denen sie lernen kann. Sie habe sehr viel selbstständig gelernt und erarbeitet und freue sich bis heute daran, neue Dinge lernen zu können.

Uns allen gibt sie mit, dass Kommunikationsdefizite zu vielen ungeplanten Missverständnissen führen können und das Leben unnötig kompliziert machen. Anna-Maria versucht grundsätzlich, vom Positiven beim Anderen auszugehen, sich in diese Person hineinzuversetzen und sie zu verstehen. Ein achtsamer und liebevoller Umgang mit uns selbst, mit den anderen und der Natur sei immer wichtig, weshalb sie selbst die beste Version von sich sein möchte und z.B. Müll auf der Straße einsammelt, den andere liegen haben lassen. Diese Anekdote verbindet uns, da ich während meiner Zeit in den USA dieselbe Angewohnheit pflegte.

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