Miguel - Schaffen von emotionalen Freiräumen
Spiegel meiner Welt
In meiner Kindheit gab es nicht
viele Ereignisse, die meine so wunderbar heile Welt ins Wanken gebracht hätten.
Bis auf ein paar Diskussionen mit meinen Geschwistern, den Toden meiner Haustiere
und der Angst, alleine im Wald zu gehen, gibt es wenig, was mich rückblickend irritiert
hätte.
Ich wuchs sehr privilegiert auf und
flog das erste Mal in meinem Leben, als ich erst acht Jahre alt war, nach
Frankreich, um in Paris das Disneyland zu besuchen. Das Gefühl unter meinen
Fußsohlen, als der Boden vibrierte und schließlich abhob, würde ich mein ganzes
Leben lang nicht vergessen und immer lieben. Obwohl ich in keiner reichen
Familie groß wurde (dies ist hier relativ zu sehen, ich bin heute noch 1.63m,
was in Österreich nicht als besonders groß gilt), hat es mir nie an etwas
gefehlt und fühlte mich immer wohl zuhause, worauf ich meinen Eltern auf immer
dankbar sein werde.
Von Anfang an lernte ich gerne und
interessiert, las ab dem Alter, wo ich dazu fähig war, im Schnitt zehn Bücher
in der Woche aus unserer Stadtbibliothek, die ich jeden Dienstag stolz zum
Ausleihtresen trug, als mein Opa mich dorthin begleitete. In genau dieser Bibliothek
sollte ich auch einen meiner ersten Ferialjobs antreten, als ich 16 Jahre alt war.
Noch heute wäre ich gerne Bibliothekarin, so wie es einer meiner ersten Berufswünsche
verrät, aber die Katalogisierung erwärmt mein Herz leider nicht so sehr wie die
Tatsache, ständig von Büchern umgeben zu sein.
Selbst in meiner sehr störrischen
und schwierigen Teenagerzeit, die uns alle vor Herausforderungen stellte, war
die Schule nie ein Konfliktthema in unserem Haus. Allerdings bin und war ich ein
dickköpfiges Mädchen, was ich heute noch gerne auf mein Sternzeichen schiebe,
und ich diskutiere Dinge sehr gerne aus. Emotionen kochen bei mir immer hoch
und ich lerne heute noch, diese im Griff zu halten und zu verhindern, dass sie
manche Situationen erschweren.
Streiten hat bei uns daheim immer dazugehört, genauso wie das relativ schnelle Vertragen danach. Länger als ein paar Tage (im absoluten Höchstfall) hat bei uns ein Konflikt nie angedauert, weil wir danach immer übereinander lachen mussten.
MIGUEL – Schaffen von emotionalen Freiräumen
Miguel Guijo González spricht mit mir am Flussufer unter der so seltenen Sonne dieser Herbsttage. Er hat sein Leben in Salzburg gerade erst begonnen, aber er ist gekommen, um zu bleiben. Wäre dieses Jahr so verlaufen, wie ich es im Jänner geplant hatte, hätten wir beide uns wohl nie kennengelernt, da ich nun schon seit einiger Zeit in Spanien gewesen wäre, aber siehe da, das Leben meinte es anders mit mir.
Miguel ist froh, seinen Alltag in Salzburg zu verbringen, trotz der Quarantäne fühlt
er sich gut aufgenommen. Dieser Umstand sollte einen nicht länger verwundern,
wenn man bedenkt, dass er Musiker ist und nun in der Heimatstadt Mozarts studiert.
Er erzählt mir, dass sein soziales
Umfeld ihn dorthin geführt hat, wo er jetzt ist, und dass das Besondere an
seiner Stadt Valladolid (Spanien) seine Eltern sind, die er sehr schätzt. Als
ich ihn nach dem Wort Sicherheit frage, muss er zuerst an seinen Vater denken,
der Polizist ist. In seinem Haus riecht es nach Weichspüler und Duftkerzen. Er
hat einige der besten Sommer seines Lebens in einem Dorf in Portugal namens
Peniche verbracht, wo er abschalten, in Ruhe lesen, frühstücken, oder auch
einfach nur am Strand sein konnte, ohne das Bedürfnis zu haben, mit jemandem
außerhalb dieses Ortes sprechen zu müssen, weil ihm nichts fehlte.
Miguel schätzt die Zeit, die er in der Gesellschaft von Mädchen verbringen kann, die, wie er sagt, dazu neigen, in einem viel gesünderen Umfeld und außerhalb dessen zu leben, was er "toxische Männlichkeit" nennt. Was er bedauerlich findet, ist, dass er, obwohl er noch jung ist, bereits das Gefühl hat, dass er keinen anderen Menschen ohne Vorbelastung treffen kann. Er vergleicht die Situation als Teenager mit der jetzigen und vermisst es daraufhin, andere als die besten Menschen der Welt wahrnehmen zu können, ohne sich Fragen stellen zu müssen.
Miguel ist ein ehrgeiziger Mensch, der viel von sich verlangt. Er erklärt, dass man als Musiker ständig mit fehlender Wertschätzung von anderen Menschen leben muss. Was Kunst für ihn ist, kann nicht von jedem wahrgenommen oder verstanden werden, und da sie mit so vielen persönlichen Emotionen verbunden ist, ist ihr Einfluss auf sein Leben unendlich groß. Für ihn essentiell ist, sich mit der Musik ausdrücken zu können, aber wenn er ein Stück auf seiner Gitarre spielt, weiß er nicht einmal, worauf er seine Aufmerksamkeit lenkt. Was Miguel klar ist: Er weiß, dass er genau dasselbe Stück nicht noch einmal in seinem Leben genau gleich spielen wird. Er betont, dass es darauf ankommt, was man mit der Musik vermitteln will, und dass dies wiederum von der Persönlichkeit abhängt, von dem, was der Komponist erlebt hat. Als Interpret trägt er auch zum Stück bei und je nach Lebenslage unterscheidet sich das Ergebnis. Der Hörer oder die Hörerin trägt je nach seiner oder ihrer Stimmung gleichermaßen dazu bei, wie die Musik wahrgenommen wird. Das ist der Grund, warum man ein Lied nicht auf die gleiche Weise hört, wenn man verliebt ist oder wenn man traurig ist.
Obwohl sie einen so bemerkenswerten
Einfluss auf sein Leben hat, hat Miguel die Musik nicht aus Leidenschaft
gewählt. Die Gitarre bedeutet für ihn etwas Einfaches und er beschreibt sein
Leben als Strömung ohne vorher festgelegtes Ufer zum Anlegen. Er erzählt mir,
dass er einer jüngeren Version von sich selbst ein Tagebuch schenken würde,
damit er genau sehen könnte, was sich in seinem Leben bisher verändert hat.
Das Glück ist für ihn am Ende des
Tages ein einfaches Konzept: sich im Moment und mit sich selbst gut zu fühlen.
Was er bei anderen als
außergewöhnlich wahrnimmt, ist, wenn ein Mensch Dinge auf eine Art und Weise
lebt, die er schön findet, oder wenn jemand eine gewisse mentale und emotionale
Stabilität besitzt. Auch wenn Miguel zugibt, dass er normalerweise sehr viel
darauf achtet, was andere tun, wenn er sie auf der Straße wahrnimmt, fühlt sich
Miguel in der Nähe anderer Menschen besser. Darüber hinaus gibt es einen
physischen Aspekt, der unweigerlich seine Aufmerksamkeit auf sich zieht: ein
liebenswertes Gesicht mit einem süßen Blick.
Schließlich erzählt er mir von einem
Konzept, über das wir schon vor diesem Interview gesprochen haben: das
Interesse, das man an anderen entwickelt, und die Freiheit, die man anderen in persönlichen Beziehungen gibt. Er
sagt mir, dass es heute an Respekt in Beziehungen mangelt und dass wir uns zu
sehr um uns selbst sorgen, ohne viel an Andere zu denken. Als Menschen ziehen
wir es vor, das zu tun, was wir wollen, ohne unsere Mitmenschen um ihre Meinung
zu fragen, was am Ende unseren Beziehungen schaden kann. Für Miguel ist es
wichtig, dem Anderen Freiheit zu schenken und zu versuchen, zu verstehen, was
die andere Person will, um das Gesamtbild zwischenmenschlicher Beziehungen zu
verstehen. Um ehrlich zu sein, ist das genau der Grund für dieses Projekt. Wir
haben also einen weiteren Beweis dafür gefunden, dass wir alle auf eine Weise
miteinander verbunden sind, die wir gerade erst zu verstehen beginnen.
Hanna
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