Sarina - Grenzgängerin auf mehreren Ebenen

Spiegel meiner Welt 

Meine Kindheit war in vielerlei Hinsicht wie im Bilderbuch. Ich wuchs im eigenen Haus meiner Familie auf, mit einem großen Garten, einem Pool, in dem ich schwimmen lernte, Schaukeln am Nussbaum, Hasen und Meerschweinchen als Haustieren, zwei älteren Brüdern und meinen Großeltern und Taufpaten direkt neben mir. Daheim wurde Hochdeutsch gesprochen, dazwischen immer wieder siebenbürgisch-sächsischer Dialekt, ich verbrachte sehr viel Zeit draußen, lernte, auf Bäume zu klettern, las Tier- und Abenteuerbücher, hing Pferdeplakate in meinem Zimmer auf und verbrachte meine Sommer an einem der schönsten Seen Österreichs. Tanzen lernte ich im Kindergartenalter, und laut meiner Mutter war als Kind an mir vor allem auffällig, dass ich immer viiiiel zu viel fragte und alles wissen wollte. (Wer heute mit mir in Uni-Kursen eingeschrieben ist, so wie meine Interviewpartnnerin, die ihr gleich kennenlernt, wird merken, dass sich seitdem nicht viel geändert hat.) 

Bei Liedern sang ich gerne mit, auch wenn ich die Sprache nicht verstehen konnte, in der sie geschrieben waren. Ich half, bevor ich groß genug war, zur Arbeitsplatte reichen zu können, stehend auf einem Hocker, meiner Tante und Großmutter beim Weihnachtskekse-Backen und beim Schneiden von Gemüse für die Suppe. Eine Rüge bekam ich einmal in der Volksschule, als ich pfeifend durch die Klasse lief und einfach nicht verstehen konnte, warum so viel Fröhlichkeit nicht erlaubt sein würde. 

"Die Wilden Hühner" prägten mich, bevor ich 10 Jahre alt war. An Familienfeiern kann ich mich vor allem deshalb erinnern, weil meiner Meinung nach immer viel zu emotional diskutiert und politisiert wurde, woran ich mich irgendwann dann aber wohl auch gewöhnt habe, denn meinem Vater habe ich auf die Aussage "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" einmal mit "Silberschmuck finde ich viel schöner als goldenen" geantwortet. 

Wenn ich meine Kindheit zusammenfassen sollte, dann muss ich an unsere Umgebung und mein Elternhaus denken, an "Wetten dass..." am Samstagabend, an Lagerfeuer im Garten, an Sommerfeste mit Freunden, an Silvester und meinen Vater, der mir mit glitzernden Augen Raketen zeigt, die er gleich anzünden wird. An die gespannten Sonntagmorgen, wenn die Eltern am Vorabend am Ball waren und Tombolapreise mitgebracht hatten, an Adventfeiern, frischen Apfelkuchen und herzliche Umarmungen. Ich denke an den Spielplatz in unserer Straße, an Lachen, bis der Bauch wehtut, und daran, dass wir uns um den letzten Knödel oder die letzte Tasse Kaffee streiten. Manche Dinge ändern sich wohl nie, auch wenn das Leben nun nicht mehr ganz so einfach ist, wie es sich einmal angefühlt hat. 

Grenzgängerin auf mehreren Ebenen - SARINA

Sarina Raphaela Wittmann bekam ihren ersten Vornamen, weil ihr Vater diesen in einem Buch gelesen und als besonders schön für seine Tochter betrachtet hatte. Diese Tatsache weiß ich nicht, weil mir das Mädchen, welches ich euch heute vorstelle, dies in unserem Online-Interview erzählt hätte, sondern weil ich es in ihrem Haus von ihrem Vater selbst gehört habe. Ihr lernt gleich eine der wichtigsten Personen in meinem Leben kennen, von der ich meinte, schon so viel zu wissen. Sie hat mich in unserem Gespräch aber einmal wieder, wie schon so oft, überrascht.


Sarina tanzt gerne vor dem Spiegel und will für jeden auf unserer Welt nur das Beste. Sie hat in mehr Ländern auf der Erde Arbeitserfahrung sammeln können, als dies viele Menschen mit fast 23 Jahren von sich behaupten können, und hat schon als Jugendliche bei McDonald’s auf Französisch bestellt, wenn dies der Standort der Filiale erlaubte. Sie liebt Entscheidungen nicht, weshalb sie mir auch nicht klar sagen möchte, wie viele Sprachen sie zusätzlich zu den sechs, die sie bereits spricht, und den zwei, an denen sie gerade arbeitet, noch lernen will.  Sie lebt auf deutschem Staatsgebiet, sieht Österreich aber genauso als ihr Zuhause an, auch wenn die Brezen bei uns lange nicht so gut sind.

Wir sprechen über Webex miteinander, da sie zum Zeitpunkt unseres Interviews aufgrund des Lockdowns schon nicht mehr über die österreichische Grenze fahren darf. Als regelmäßige Grenzgängerin seit Kindertagen fühlt sich Sarina sehr verbunden mit Österreich, Salzburg ist für sie die Stadt, in der sie, seitdem sie klein war, eine Heimat, hatte. Als ihren Lieblingsort in dieser Gegend nennt sie mir auch die Spitze des Gaisbergs, der sich in Österreich befindet. Oft kann sie nicht so stark unterscheiden zwischen dem einen oder dem anderen Staatsgebiet. Natürlich gibt es Witze übereinander, erzählt sie mir mit einem Lächeln. Zur Nationalitätenfrage meint sie abschließend: „Ich bin halt trotzdem als Deutsche aufgewachsen, aber Österreich war mir nie fremd.“

Groß geworden, das ist Sarina bis zum Alter von 10 Jahren in einem sehr kleinen Dorf in Bayern, welches ein idyllisches Paradies darstellte. Dort kannte jeder jeden, Kinder konnten auch allein auf der Straße spielen, auf den Wiesen und im Wald, nichts hätte passieren können. Sie erzählt, dass sie dort sehr viel Freiheit hatte, und auch einige Kinder im selben Alter in ihrer Straße lebten. Dementsprechend wundert es mich nicht, dass sie auf meine Frage, womit sie ihre Kindheit assoziierte, „Freude, Spiel und Familie“ antwortet.

Große Begeisterung löst bei Sarina ebenfalls schon seit Kindertagen der Geruch von gebratenen Maroni aus, der sie sofort zurück in ihr Elternhaus bringt.

Einige Einstellungen haben sich aber auch im Laufe ihres Lebens gewandelt. Hierzu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass es früher wohl leichter war, Sarina zu beeindrucken. Menschen mit Pferden hatten hier einen unglaublichen Vorsprung, wie sie mir lachend beichtet. Heute braucht es ein Maß an Authentizität, die andere ausstrahlen, um sie zu faszinieren. Menschen mit einem starken Glauben an eine Sache, die für etwas Einsatz zeigen, beeindrucken Sarina.

Auch, was ihr Äußeres anbelangt, hat sich die junge Frau gewandelt. In ihrer Schulzeit wollte sie dem Durchschnitt ihrer Freundinnen entsprechen, glättete ihre natürlich welligen Haare jeden Tag. Mittlerweile kennt man Sarina fast nur noch mit ihren Locken, weshalb sie, wie man sie auf den Fotos hier sieht, beinahe undercover in der Stadt unterwegs war. Reflektierend zu ihrer Jugendzeit meint sie, dass man sich weniger Gedanken um das machen sollte, was andere von einem denken könnten. Man sollte sich trauen, authentisch zu sein, sagt Sarina. Und an alle Mädchen mit lockigen Haaren: Nicht so oft glätten! J

Über Sarina kann man nicht schreiben, ohne andere Länder und Kulturen zu erwähnen. Sie verbrachte schon als Baby Sommer auf einer griechischen Insel, wo sie „Ersatzgroßeltern“ hatte, die sie als Familienmitglied ansahen, schlief in ihrem Auslandsjahr nach der Schule einige Monate lang in einer Hängematte im Dschungel und arbeitete auf einer italienischen Insel. Es gibt keine Sprache der Welt, die sie nicht aus irgendeinem Grund lernen würde, da sie diese gerne in Verbindung mit Reisen und anderen Menschen lernt. „Ich bin in jeder Sprache dieselbe Person, aber verschiedene Persönlichkeitsaspekte treten anders in den Vordergrund.“, sagt sie mir, als ich sie frage, ob die Sprache, in der sie spricht, sie stark in ihrem Handeln beeinflusst.  Sarina erklärt mir, dass Sprachen ihr das Gefühl geben, dass sie Menschen auf einer anderen Ebene kennenlernen und treffen kann. Mit der Liebe ihres Lebens will sie eine Weltreise machen. Ein Nachteil dieser ganzen Internationalität, wie sie schmunzelnd anmerkt: manchmal fallen ihr Witze in der falschen Sprache ein.

Am Beginn dieses Textes habe ich erwähnt, dass ich euch jemanden vorstelle, der für uns alle nur das Beste will. Sarina nennt mir als tägliches Ziel, welches sie verfolgt, dass sie jedem Menschen mit einem Lächeln begegnen und einer anderen Person den Tag verschönern möchte. Sie sagt, dass sie Anderen von Grund auf immer positiv entgegentritt und mit guten Erwartungen entgegen kommt. Sarina möchte anderen die Chance geben, sie selbst zu sein, egal, wer sie sind. Sie versucht, Oberflächlichkeit, soweit dies geht, aus ihrem Denken zu entfernen. Jeder Mensch habe eine Geschichte, die man nicht kennt und auch mit Problemen zu kämpfen, von denen wir keine Ahnung haben, erklärt Sarina. Und deshalb habe auch jeder Mensch hat eine Chance verdient.  

Abschließend gibt sie einen Denkanstoß. Sarina sagt, dass viele Leute zahlreiche Privilegien haben und man daher auch etwas zurückgeben kann an andere, denen es nicht so gut geht. Es sei immer möglich, etwas Gutes zu tun, selbst wenn man glaubt, dass man wenige Möglichkeiten hat. Sarina sagt, dass wir jeden Tag die Möglichkeit haben, uns zu entscheiden, was wir mit unseren gegebenen Mitteln tun, und wie wir die Welt verändern wollen.

Dies sei oft leichter, als man denkt, sagt sie, denn auch Kleinigkeiten können das Leben von anderen zum Positiven verändern. Als Beispiel erzählt sie mir, dass sie in einem falschen Bus in Kolumbien ganz verloren und allein saß, ohne Bleibe am Ankunftsort. Sie wusste nicht, wo sie hinsollte, alleine und bei Nacht, als der Busfahrer sie dazu aufrief, ihre Sachen in die Hand zu nehmen. Er hatte mit einem Arbeitskollegen gesprochen, der in der entgegengesetzten Richtung auf dem Weg zu ihrem Ziel war. Kurzerhand hielt der Busfahrer an, begleitete sie über die Autobahn und wartete, bis der andere Bus sie erreichte. Noch bevor sie sich bedanken konnte, machte er sich wieder auf den Weg zu dem Bus voller Passagiere, der auf der anderen Seite der Straße wartete.

Diese Erfahrung hat sie geprägt, weshalb sie uns allen mitgibt: Be kind.

Zu Beginn dieses Textes hatte ich erwähnt, dass mich meine Interviewpartnerin überraschte, obwohl ich schon zuvor sehr viel von ihr wusste. Die Geschichte über den Busfahrer hingegen war mir neu, und es faszinierte mich, dass ich, an einer anderen Stelle der Welt, ungefähr zum selben Zeitraum, aber bevor wir beide uns kannten, etwas Ähnliches erlebt hatte. Im Norden der USA, auf dem Weg nach Nashville, Tennessee, hatte ich während meines Au-Pair Jahres einen Bus verpasst und musste allein auf einem fremden Bahnhof zurechtkommen, bis mitten in der Nacht der nächste Bus abfuhr. Nach anfänglicher Verzweiflung lernte ich eine Lektion: viele fremde Menschen waren bereit, mir zu helfen, ich war nicht allein. Seitdem trage ich ein Motto im Herzen: Practice random acts of kindness

Lass mich wissen, welchen von Sarinas Persönlichkeitsaspekten du nicht erwartet hast! Ich freue mich auch, über DEIN Leben etwas erfahren zu dürfen. Gute Gespräche sind Balsam für die Seele.

Hanna

 

 

 

 

 

 

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