Dustin - Musikpädagogik und Drag Queens

Die nun vorgestellte Person lernte ich in meinem vorletzten Unisemester kennen. Dustin und ich besuchten gemeinsam einen Kurs zum Thema Exotifizierung in den szenischen Künsten in der Tanzwissenschaft. Da in den Diskussionen im Kurs meist kaum Zeit blieb, uns meinungstechnisch auszutauschen und mich die Aussagen und Reflektionsfähigkeit Dustins beeindruckten, lud ich ihn kurzerhand an einem Sonntagvormittag zu mir nach Hause zu einem Interview ein. Daraus wurde ein stundenlanges Gespräch über Kulturpolitik, Geschlechterrollen, die Salzburger Festspiele, Trachtenvereine und Tanz. Seid gespannt auf einen facettenreichen Menschen!

Dustin lebte als Kleinkind bei seiner Großmutter auf dem Bauernhof. Seinen Heimatort Pocking beschreibt er als verschlafenes Kaff, als kulturell und gesellschaftlich tote Stadt, als Zweckgemeinschaft ohne sozialen Zusammenhalt. Man bemüht sich, einen „Ort für die Anderen“ zu schaffen, womit die Behindertenpädagogik der Caritas gemeint ist. Rund um das Gebäude sind meterhohe und undurchsichtige Zäune gebaut worden, die Bewohner:innen nehmen also nicht am Stadtleben teil. 

Bei seinem Studiumsschwerpunkt Inklusion und Diversität arbeitete Dustin mit altersgemischten Inklusivgruppen. In der Kunst herrscht zwar Dialogbereitschaft, Hierarchien und eurozentristisches Denken gibt es dennoch. Flüchtlinge und deren musikalische Ausdrucksform z.B. werden nicht gehört. Fragen, die Dustin mir stellt: Ändert sich an der gesellschaftlichen Situation durch erhöhte Sichtbarkeit etwas? Wie kann man Leistung im kapitalistischen System reproduzieren? 

Schon in seiner katholischen Schule hat Dustin Akkordeon gelernt und bereits seine ersten Dragperfomances durchgeführt, als Paradiesvogel Tanzhebefiguren im Sportunterricht geübt. Nicht nur damit wuchs er auf, sondern auch mit dem lokalen bayrischen Trachtenverein. Dessen strenge Regeln entsprechen heute nicht mehr seiner Überzeugung, er sieht die Gruppe aber als Teil von sich an. Nicht nur die Erfahrung mit dem Brauchtum verbindet uns beide, sondern auch das Idealisieren der österreichischen Kaiserin Sissy. Vorbilder sind für ihn heute eine frühere Lehrerin, Cornelia Funke und Jane Goddall. 

Auf die Frage, warum er nur Frauen nennt, beschreibt er die problematische Beziehung zu seinem Stiefvater und die Tatsache, dass er nie Männer als Bezugspersonen außer im romantischen Sinn hatte. In Bezug auf Frauen meint Dustin, dass ein dich unterdrückendes System das verbindende Element zur Regenbogenbewegung bildet. Heterosexuelle Männer stehen, im Gegensatz zu allen anderen,  an der Spitze der gesellschaftlichen Nahrungskette. Dieses Statement kann ich als bisexuelle Frau unterschreiben. Als queere Person wird Dustin auf Parties teils als Fetischobjekt von Männern angesehen, andere Männer wiederum reflektieren das auch und können mit queeren Menschen befreundet sein. 


Für Dustin ist das Konzept Geschlecht ein Spektrum mit zwei Polen und vielen Zwischenmöglichkeiten, ihm ist es egal, mit welchen Pronomen man ihn anspricht. Dustin möchte keiner Geschlechterrolle entsprechen oder ein Stereotyp sein, deshalb identifiziert er sich als nicht-binär. Als Jugendlicher verschwammen bei seiner Tätigkeit als Drag Queen die Grenzen zwischen Verkleidung und Identität. 

Über Diskriminierungen erzählt er, dass er bei einem Chor nicht aufgenommen wurde, weil er schon als Grundschulkind mit Glitzerschal unterwegs war. Als Lehrkraft erlebt er Stigma weniger von den Kindern, sondern eher bzgl. der Eltern oder der Schulleitung. Er sieht Musik und Tanz als wichtig für jedes Kind an, das diese Dinge ausprobieren möchte, weshalb er zu Hause ein Chorprojekt leitet. Er gibt uns mit, immer zu tanzen, Menschen auf dieselbe Art wie Kinder, ohne Filter, zu sehen, sich mehr mit „anderen“ Leuten auszutauschen und nicht zwischen Hochkultur und Populärkultur zu unterscheiden.

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